2. Teil: Besondere Bestimmungen
1. Titel: Schlichtungsversuch
1. Kapitel: Geltungsbereich und Schlichtungsbehörde
Art. 197 Grundsatz
Dem Entscheidverfahren geht ein Schlichtungsversuch vor einer Schlichtungsbehörde voraus.
Art. 198 Ausnahmen
Das Schlichtungsverfahren entfällt:
a. im summarischen Verfahren;
abis. bei Klagen wegen Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen nach Artikel 28b ZGB oder betreffend eine elektronische Überwachung nach Artikel 28c ZGB;
b. bei Klagen über den Personenstand;
bbis. bei Klagen über den Unterhalt von minder- und volljährigen Kindern und weitere Kinderbelange;
c. im Scheidungsverfahren;
d. im Verfahren zur Auflösung und zur Ungültigerklärung der eingetragenen Partnerschaft;
e. bei folgenden Klagen aus dem SchKG:
1. Aberkennungsklage (Art. 83 Abs. 2 SchKG),
2. Feststellungsklage (Art. 85a SchKG),
3. Widerspruchsklage (Art. 106–109 SchKG),
4. Anschlussklage (Art. 111 SchKG),
5. Aussonderungs- und Admassierungsklage (Art. 242 SchKG),
6. Kollokationsklage (Art. 148 und 250 SchKG),
7. Klage auf Feststellung neuen Vermögens (Art. 265a SchKG),
8. Klage auf Rückschaffung von Retentionsgegenständen (Art. 284 SchKG);
f bei Streitigkeiten, für die nach Artikel 7 dieses Gesetzes eine einzige kantonale Instanz zuständig ist;
g. bei der Hauptintervention, der Widerklage und der Streitverkündungsklage;
h. wenn das Gericht eine Frist für eine Klage gesetzt hat sowie bei Klagen, die mit einer solchen Klage vereint werden, sofern die Klagen in einem sachlichen Zusammenhang stehen;
i. bei Klagen vor dem Bundespatentgericht.
Art. 199 Verzicht auf das Schlichtungsverfahren
1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten.
2 Die klagende Partei kann einseitig auf das Schlichtungsverfahren verzichten, wenn:
a. die beklagte Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat;
b. der Aufenthaltsort der beklagten Partei unbekannt ist;
c. in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995.
3 Bei Streitigkeiten, für die nach den Artikeln 5, 6 und 8 eine einzige kantonale Instanz zuständig ist, kann die klagende Partei die Klage direkt beim Gericht einreichen.
Art. 200 Paritätische Schlichtungsbehörden
1 Bei Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen besteht die Schlichtungsbehörde aus einer vorsitzenden Person und einer paritätischen Vertretung.
2 Bei Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995 besteht die Schlichtungsbehörde aus einer vorsitzenden Person und einer paritätischen Vertretung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite und des öffentlichen und privaten Bereichs; die Geschlechter müssen paritätisch vertreten sein.
Art. 201 Aufgaben der Schlichtungsbehörde
1 Die Schlichtungsbehörde versucht in formloser Verhandlung, die Parteien zu versöhnen. Dient es der Beilegung des Streites, so können in einen Vergleich auch ausserhalb des Verfahrens liegende Streitfragen zwischen den Parteien einbezogen werden.
2 In den Angelegenheiten nach Artikel 200 ist die Schlichtungsbehörde auch Rechtsberatungsstelle.
2. Kapitel: Schlichtungsverfahren
Art. 202 Einleitung
1 Das Verfahren wird durch das Schlichtungsgesuch eingeleitet. Dieses kann in den Formen nach Artikel 130 eingereicht oder mündlich bei der Schlichtungsbehörde zu Protokoll gegeben werden.
2 Im Schlichtungsgesuch sind die Gegenpartei, das Rechtsbegehren und der Streitgegenstand zu bezeichnen.
3 Die Schlichtungsbehörde stellt der Gegenpartei das Schlichtungsgesuch unverzüglich zu und lädt gleichzeitig die Parteien zur Vermittlung vor.
4 In den Angelegenheiten nach Artikel 200 kann sie, soweit ein Entscheidvorschlag nach Artikel 210 oder ein Entscheid nach Artikel 212 in Frage kommt, ausnahmsweise einen Schriftenwechsel durchführen.
Art. 203 Verhandlung
1 Die Verhandlung hat innert zwei Monaten seit Eingang des Gesuchs oder nach Abschluss des Schriftenwechsels stattzufinden.
2 Die Schlichtungsbehörde lässt sich allfällige Urkunden vorlegen und kann einen Augenschein durchführen. Soweit ein Entscheidvorschlag nach Artikel 210 oder ein Entscheid nach Artikel 212 in Frage kommt, kann sie auch die übrigen Beweismittel abnehmen, wenn dies das Verfahren nicht wesentlich verzögert.
3 Die Verhandlung ist nicht öffentlich. In den Angelegenheiten nach Artikel 200 kann die Schlichtungsbehörde die Öffentlichkeit ganz oder teilweise zulassen, wenn ein öffentliches Interesse besteht.
4 Mit Zustimmung der Parteien kann die Schlichtungsbehörde weitere Verhandlungen durchführen. Das Verfahren ist spätestens nach zwölf Monaten abzuschliessen.
Art. 204 Persönliches Erscheinen
1 Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen. Ist eine juristische Person Partei, so muss für sie entweder ein Organ oder eine Person erscheinen, die mit einer kaufmännischen Handlungsvollmacht ausgestattet, zur Prozessführung sowie zum Abschluss eines Vergleichs befugt und mit dem Streitgegenstand vertraut ist.
2 Die Parteien können sich von einer Rechtsbeiständin, einem Rechtsbeistand oder einer Vertrauensperson begleiten lassen.
3 Nicht persönlich erscheinen muss und sich vertreten lassen kann, wer:
a. ausserkantonalen oder ausländischen Wohnsitz oder Sitz hat;
b. wegen Krankheit, Alter oder anderen wichtigen Gründen verhindert ist;
c. in Streitigkeiten nach Artikel 243 als Arbeitgeber beziehungsweise als Versicherer eine angestellte Person oder als Vermieter die Liegenschaftsverwaltung delegiert, sofern diese zum Abschluss eines Vergleichs schriftlich ermächtigt sind;
d. eine von mehreren klagenden oder beklagten Parteien ist, sofern eine der Parteien anwesend und befugt ist, die anderen klagenden oder beklagten Parteien zu vertreten und einen Vergleich in deren Namen abzuschliessen.
4 Die Gegenpartei ist über die Vertretung vorgängig zu orientieren.
Art. 205 Vertraulichkeit des Verfahrens
1 Aussagen der Parteien dürfen weder protokolliert noch später im Entscheidverfahren verwendet werden.
2 Vorbehalten ist die Verwendung der Aussagen im Falle eines Entscheidvorschlages oder Entscheides der Schlichtungsbehörde.
Art. 206 Säumnis
1 Bei Säumnis der klagenden Partei gilt das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen; das Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
2 Bei Säumnis der beklagten Partei verfährt die Schlichtungsbehörde, wie wenn keine Einigung zu Stande gekommen wäre (Art. 209–212).
3 Bei Säumnis beider Parteien wird das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben.
4 Eine säumige Partei kann mit einer Ordnungsbusse bis zu 1000 Franken bestraft werden.
Art. 207 Kosten des Schlichtungsverfahrens
1 Die Kosten des Schlichtungsverfahrens werden der klagenden Partei auferlegt:
a. wenn sie das Schlichtungsgesuch zurückzieht;
b. wenn das Verfahren wegen Säumnis abgeschrieben wird;
c. bei Erteilung der Klagebewilligung.
2 Bei Einreichung der Klage werden die Kosten zur Hauptsache geschlagen.
3. Kapitel: Einigung und Klagebewilligung
Art. 208 Einigung der Parteien
1 Kommt es zu einer Einigung, so nimmt die Schlichtungsbehörde einen Vergleich, eine Klageanerkennung oder einen vorbehaltlosen Klagerückzug zu Protokoll und lässt die Parteien dieses unterzeichnen. Jede Partei erhält ein Exemplar des Protokolls.
2 Ein Vergleich, eine Klageanerkennung oder ein vorbehaltloser Klagerückzug haben die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheids.
Art. 209 Klagebewilligung
1 Kommt es zu keiner Einigung, so hält die Schlichtungsbehörde dies im Protokoll fest und erteilt die Klagebewilligung:
a. bei der Anfechtung von Miet- und Pachtzinserhöhungen: dem Vermieter oder Verpächter;
b. in den übrigen Fällen: der klagenden Partei.
2 Die Klagebewilligung enthält:
a. die Namen und Adressen der Parteien und allfälliger Vertretungen;
b. das Rechtsbegehren der klagenden Partei mit Streitgegenstand und eine allfällige Widerklage;
c. das Datum der Einleitung des Schlichtungsverfahrens;
d. die Verfügung über die Kosten des Schlichtungsverfahrens;
e. das Datum der Klagebewilligung;
f. die Unterschrift der Schlichtungsbehörde.
3 Nach Eröffnung berechtigt die Klagebewilligung während dreier Monate zur Einreichung der Klage beim Gericht.
4 In Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht beträgt die Klagefrist 30 Tage.
4. Kapitel: Entscheidvorschlag und Entscheid
Art. 210 Entscheidvorschlag
1 Die Schlichtungsbehörde kann den Parteien einen Entscheidvorschlag unterbreiten in:
a. Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995;
b. Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht, sofern die Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen, der Schutz vor missbräuchlichen Miet- und Pachtzinsen, der Kündigungsschutz oder die Erstreckung des Miet- und Pachtverhältnisses betroffen ist;
c. den übrigen vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 10 000 Franken.
2 Der Entscheidvorschlag kann eine kurze Begründung enthalten; im Übrigen gilt Artikel 238 sinngemäss.
Art. 211 Wirkungen
1 Der Entscheidvorschlag gilt als angenommen und hat die Wirkungen eines rechtskräftigen Entscheids, wenn ihn keine Partei innert 20 Tagen seit der schriftlichen Eröffnung ablehnt. Die Ablehnung bedarf keiner Begründung.
2 Nach Eingang der Ablehnung stellt die Schlichtungsbehörde die Klagebewilligung zu:
a. in den Angelegenheiten nach Artikel 210 Absatz 1 Buchstabe b: der ablehnenden Partei;
b. in den übrigen Fällen: der klagenden Partei.
3 Wird die Klage in den Angelegenheiten nach Artikel 210 Absatz 1 Buchstabe b nicht rechtzeitig eingereicht, so gilt der Entscheidvorschlag als anerkannt und er hat die Wirkungen eines rechtskräftigen Entscheides.
4 Die Parteien sind im Entscheidvorschlag auf die Wirkungen nach den Absätzen 1–3 hinzuweisen.
Art. 212 Entscheid
1 Vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 2000 Franken kann die Schlichtungsbehörde entscheiden, sofern die klagende Partei einen entsprechenden Antrag stellt.
2 Das Verfahren ist mündlich.
3 Bei einem Entscheid gemäss Absatz 1 legt die Schlichtungsbehörde die Gerichtskosten und die Parteientschädigung fest.
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